Im Jahr 1965 verbrachte der damals 20-jährige Neil Young mit seiner Band "The Squires" mehrere Monate in Fort William (heute Thunder Bay), einer betriebsamen kanadischen Industriestadt am Lake Superior. Mit Auftritten in kleinen Clubs wie dem "4-D Coffeehouse" oder dem "Flamingo" erspielten sie sich eine lokale Fangemeinde. Die Bandmitglieder – Neil Young an der Gitarre, Bassist Ken Koblun und Schlagzeuger Bob Clark – waren begierig darauf, sich musikalisch weiterzuentwickeln, und knüpften Kontakte zur lebendigen lokalen Musikszene. Dazu zählten Musiker wie Terry Erickson, der die "Squires" an Gitarre und Bass unterstützte und zeitweise offizielles Bandmitglied wurde, sowie Tom Horricks und Donny Brown von der lokal bekannten Band "Donny B and The Bonnvilles".
Im April 1965 kam es zu einer besonders prägenden Begegnung, als Neil Young und die "Squires" im "4-D Coffeehouse" Stephen Stills und dessen Band "The Company" live erlebten. Stills' charismatische Interpretation des Folksongs "High Flying Bird" von Billy Edd Wheeler begeisterte Young und seine Mitmusiker so sehr, dass sie nicht nur bald ihre eigene Version des Liedes spielten, sondern sich auch mit dem talentierten Stills anfreundeten. Diese musikalischen Einflüsse und die wachsende Ambition führten dazu, dass die Band sich in "The High Flying Birds" umbenannte – inspiriert von ebendiesem Song – und am 16. Juni 1965 im Nachmittagsprogramm ihr letztes Konzert im "4-D Coffeehouse" gab. [Weiter: Aufbruch zur Weltkarriere ...]
Neil Young in Aufbruchstimmung
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1965: Neil Young (m.), Terry Erickson (l.), Bob Clark (o.), Ken Koblun (r.) |
Sudbury lag einige hundert Kilometer östlich. Neil Young packte seine Instrumente ein – ein klares Indiz dafür, dass eine Rückkehr nach Fort William in seinen Plänen keine Rolle mehr spielte. Selbst Terry Ericksons Motorrad fand noch Platz im geräumigen "Mort". Neben Neil Young und Terry Erickson waren an Bord des ungewöhnlichen Gefährts auch Squires-Schlagzeuger Bob Clark sowie Tom Horricks und Donny Brown von den "Bonnvilles". Lediglich Bassist Ken Koblun blieb ahnungslos in Fort William zurück, da er nicht in die spontanen Pläne seiner Bandkollegen eingeweiht war.
Der Leichenwagen "Mort" war an sich schon eine Legende. Es handelte sich nicht um ein Standardmodell von Buick, sondern um einen Spezialumbau der Firma Flxible aus Ohio. Diese stellte auf Basis eines Buick-Roadmaster-Chassis diese verlängerten Fahrzeuge her. Neil Young hatte den imposanten schwarzen Wagen im August 1964 per Zeitungsannonce in Winnipeg entdeckt und als Bandwagen für die "Squires" erstanden. Laut Youngs Autobiografie "Ein Hippie-Traum" hatte seine Mutter Rassy die Summe von 125 Dollar für das Fahrzeug beigesteuert – eine Investition in die Träume ihres Sohnes.
Die Fahrt von Fort William in Richtung Sudbury verläuft größtenteils entlang der malerischen, aber auch einsamen Küstenlinie des Lake Superior. Die jungen Musiker vernahmen zunehmend unheilvolle Geräusche aus dem Inneren von "Mort" – insbesondere, nachdem sie die Stadt Sault Ste. Marie passiert hatten. Kurz vor dem kleinen Ort Iron Bridge, nach über 800 Kilometern und vielen Stunden Fahrt, bestätigten sich die Vorahnungen auf dramatische Weise: Mit einem lauten Knall und einer Wolke heißen Dampfes verabschiedete sich "Morts" Getriebe. Der gesamte Antriebsstrang lag nun nutzlos und qualmend auf dem Trans-Canada Highway.
Gestrandet im kanadischen Nirgendwo
Doch auch in Blind River zerschlugen sich die Hoffnungen der Gruppe schnell. Das tagelange Warten auf ein passendes Ersatzgetriebe für den Buick Roadmaster Hearse von 1948 erwies sich als aussichtslos. "Mort" war mit einem speziellen manuellen Dreiganggetriebe ausgestattet, dessen Produktion Buick bereits 1949 eingestellt hatte. Ein Ersatzteil für ein solch altes, seit 17 Jahren nicht mehr produziertes Getriebe in einem abgelegenen Ort wie Blind River aufzutreiben, grenzte an ein Wunder und war unmöglich. Mit jedem Tag und dem schwindenden Bargeld sank die Stimmung.
Als das Geld schließlich zur Neige ging, musste sich die Gruppe aufteilen. Bob Clark, Tom Horricks und Donny Brown kratzten ihr letztes Geld zusammen und überließen es Neil Young. Entmutigt trampten sie zurück nach Fort William. Neil Young und Terry Erickson bestiegen Ericksons Motorrad und machten sich auf den Weg nach Toronto. Von dort aus kamen sie noch mehrmals nach Blind River zurück, bis schließlich klar wurde, dass sich eine Reparatur des Wagens selbst mit einem passenden Getriebe letztlich nicht mehr lohnte, da auch die Hinterachse des Wagens ruiniert war. Im Juli 1965 informierte Neil Young seine Mutter per Postkarte über Morts Schicksal. Die pragmatisch formulierte Nachricht lautete: "Bitte storniere die Versicherung, da Mort tot ist." (Bitte storniere die Versicherung, da Mort tot ist).
Getriebeschaden als Wendepunkt
Dieses einschneidende Erlebnis und den Verlust seines treuen Gefährts "Mort" verarbeitete Neil Young später in dem Song "Long May You Run" (1976). Die melancholische Ode an das Fahrzeug und die vergangene Zeit erschien auf dem gleichnamigen Album der Stills-Young-Band. Eine Textzeile aus diesem Song diente dann auch als Inspiration für die Namensfindung von Neil Youngs aktueller Begleitband. Aus dem von Young besungenen verchromten Herzen des vor 60 Jahren havarierten Leichenwagens, wurden die "Chrome Hearts", mit denen Young sein aktuelles Album veröffentlicht hat und mit denen er jetzt auf Welttournee geht. Long may they run ...
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Nochmals danke für deine Arbeit hier Ralph ! Heute geht die Tour los und wir werden auf dieser tollen Seite wieder ausführlich informiert. Klasse 👍 MM✌️
AntwortenLöschenDem schließe ich mich gern an.
LöschenGruß
K-H
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AntwortenLöschenEine Super Seite, immer wieder! Vielen Dank! Vielleicht sieht man sich in Berlin....
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