August 04, 2011

Spielende Kinder: Neil Young, Joni Mitchell & die Stellas

Mit kaum einer Künstlerin verbindet Neil Young mehr, als mit Joni Mitchell: Beide wuchsen in der kanadischen Provinz auf, zogen mehrfach um – Neil als Sohn eines Journalisten, Joni als Tochter eines Offiziers der kanadischen Luftwaffe. Beide erkrankten als Kinder an Polio, beide entdeckten früh ihre Neigung zur Musik – und beide entlockten ihre ersten Töne einer Ukulele. Und das sogar im gleichen Jahr - 1958.

Ihre Wege kreuzten sich erstmals im Oktober 1965 in Winnipeg, als Joni Mitchell und Ehemann Chuck im dortigen 4D Coffeehouse auftraten. Zuvor war Joni Gast in Oscar Brands Hootnanny Folk-Sendung "Let's Sing Out", von der in Winnipeg für das kanadische Fernsehen CJAY-TV zwei Folgen aufgezeichnet wurden.

Neil Young war zu der Zeit eigentlich schon nach Toronto gezogen, wo er nach einem gescheiterten Versuch mit den umgruppierten „The Squires“ versuchte, als Folk-Solist Fuß zu fassen. Das Treffen mit Joni Mitchell kam eher zufällig zustande, als Neil Young für einige Tage seine Mutter in Winnipeg besuchte.

go to English version
Die Legende besagt, dass Neil Young damals Joni Mitchell nach deren Auftritt in Winnipegs 4D seinen Song „Sugar Mountain“ vorgespielt habe. Dieser Song über das Ende der Kindheit und die Probleme mit dem Erwachsenwerden, den er knapp ein Jahr zuvor an seinem 19. Geburtstag in Fort William geschrieben hatte, war Teil seines Repertoires, mit dem er durch Torontos Folk-Clubs tingeln wollte. Joni Mitchell soll so berührt von dem Song gewesen sein, dass sie mit „The Cicle Game“ einen eigenen Song verfasste, der sich auf „Sugar Mountain“ bezieht.

Tatsächlich hat Joni Mitchell den Song aber wohl schon viel eher gekannt ­– und zwar über Vicky Taylor, damals Folk-Sängerin in Toronto, in deren Apartment sowohl Joni Mitchell als auch Neil Young unabhängig von einander zeitweilig wohnten. Autorin Sheila Weller zitiert in Ihrem 2008 erschienen Buch „Girls like us: Carole King, Joni Mitchell, Carly Simon - And the Journey of a Generation" Vicky Taylor, die ihrer Freundin Joni Mitchell den Song schon im Sommer 1965 vorgespielt haben will. 

Wann auch immer Joni Mitchell den Song erstmals gehört hat, er hat ihr dann immerhin soviel bedeutet, dass sie sowohl Neil Youngs „Sugar Mountain“ als auch ihre Antwort „The Cicle Game“ im Repertoire ihrer ersten Jahre hatte. In den Ansagen zu den Songs ging sie auch stets auf Neil Young ein. In einem Radiointerview im Mai 1967 gab sie sogar ihrer Hoffnung Ausdruck, dass der den Song mit „Buffalo Springfield“ aufnehmen würde. Bekanntlich hat Neil Young „Sugar Mountain“ aber erst 1977 auf „Decade“ erstmals veröffentlicht, obwohl er es seit 1968 oft live spielte. Joni Mitchell hat ihr „The Cicle Game“ wiederum auch erst im Jahr 1970 auf ihrem dritten Album „Ladies of the Canyon“ veröffentlicht. 

Joni Mitchell und Neil Young gemeinsam mit Stella-Gitarren auf der Bühne
Joni und Neil mit Schülergitarren
(c) James Brown (falsch datiert)
Joni Mitchell und Neil Young haben diese beiden Songs und zusätzlich Youngs „Helpless“ auch zusammen auf der Bühne gespielt. Anlass war ein Überraschungsauftritt von Neil Young am Ende einer Show von Joni Mitchell am 18. Januar 1976 in der Elliott Hall of Music der Purdue Universiät in West Lafayette, Indiana.

Es war die zweite Station ihrer "1976 Tour of the United States" mit "L.A. Express" als Begleitband, in der damals Robben Ford die Gitarre spielte. Neil Young und Joni Mitchell hatten offenbar soviel Spaß dabei, ihre jeweiligen Schlüsselsongs über das Ende ihrer Jugendjahre zu spielen, dass sie sogar zu ganz speziellen Gitarren griffen:

Fotos dieses Auftritts – akustische Aufnahmen sind leider nicht erhalten – zeigen Neil Young und Joni Mitchell mit billigen „Stella“ Schülergitarren der Firma „Harmony“. Um den Gag komplett zu machen, spielte Neil Young das von „Harmony“ für kleine Jungs vermarktete Modell H6134. Joni Mitchell ist mit dem Modell H6128 zu sehen, dass „Harmony“ laut Katalogabbildung für kleine Mädchen erdacht hatte.

Die "Mädchen"-Gitarre
Beide Gitarren wurden von 1972 bis 1975 aus preiswerten Hölzern gefertigt. Die "Jungen-Gitarre" hatte eine Decke aus Birkensperrholz mit einem Finish namens „simulierte Fichte“. Der Korpus der "Mädchen-Gitarre" war aus "Obstholz" (die Fruchtsorte war nicht angegeben). Auch der Rest wie geschraubte Stege aus Plastik, Griffbretter aus „ebenholzartigen" Material und unechte Schallloch-Rosetten war eine echte Billigausstattung. Kein Wunder bei damaligen Preisen um ca. 60 US-Dollar.

Die "Jungs"-Gitarre
Der Klang dieser Billig-Instrumente war meilenweit entfernt vom edlen Klang der teuren Martin Akustikgitarren, mit denen beide Künstler zu jener Zeit normalerweise auftraten. Aber es war ein netter Einfall, um zwei Lieder zu präsentieren, die vom Abschied aus der heilen Kindheit handeln. Wer damals wen mit den Gitarren überraschte oder ob die beiden den Gag vorher verabredeten, ist nicht überliefert. Zuzutrauen wäre es aber beiden: Der Hang zu trockenem Humor ist eine weitere Gemeinsamkeit der beiden seelenverwandten Kanadier.

Weder Neil Young noch Joni Mitchell wurden davor noch danach je wieder mit „Stella“-Gitarren gesehen. Zwar hatte Neil Young mit einer preiswerten „Harmony“ Archtop-Gitarre begonnen, nachdem ihm die vier Saiten seiner Ukulele nicht mehr reichten. Aber er schwenkte schon nach einem Jahr auf E-Gitarren um. „Sugar Mountain“ entstand 1964 daher auch gar nicht auf einer Akustikgitarre, sondern auf einer elektrischen Gretsch 6120 „Chet Atkins“. 

Detail: Aufgeschraubtes Schlagbrett
Übrigens waren die Gitarren der Marke „Stella“ nicht immer solche „Billigheimer“ aus Obstholz und Fichtenimitat wie sie Neil Young und Joni Mitchell 1976 spielten. “Stella“ war ursprünglich eine von mehreren Marken der "Oscar Schmidt Company" aus New Jersey. Der aus Deutschland stammende Oscar Schmidt fertigte dort seit 1899 mittelpreisige Akustikgitarren, Banjos und Mandolinen unter Markennamen wie "Stella", "Sovereign" oder "La Scala".

Bekannt wurde seine Marke „Stella“ vor allem durch 12-saitige Instrumente, die unter anderem von Legenden wie dem Bluesmusiker „Lead Belly“ gespielt wurden. Während der Wirtschaftskrise Ende der 1930er Jahre kaufte dann der „Harmony“-Konzern, der preiswerte Instrumente über Kaufhäuser und Versandkataloge vertrieb, die Markennamen der "Oscar Schmidt Company". Unter „Stella“ wurden seitdem bei „Harmony“ hergestellte Billigvarianten von Western- und Folkgitarren für Schüler und Anfänger erkauft.


Joni Mitchell (unter ihrem Mädchennamen Joni Anderson) in der TV-Show von Oscar Brand, aufgezeichnet am 04. Oktober 1965 in Winnipeg:




Aufnahme von Joni Mitchells Version von "Sugar Mountain" und eines Interviews auf der Bühne des Folk-Clubs "The 2nd Fret" in Philadelphia im November 1966:




Joni Mitchell singt "The Cicle Game" 1967 mit Anmerkungen zu Neil Young:



Harmony Stella H6134 als 3D-Modell

3 Kommentare :

Wenn du auf meinem Blog Kommentare postest, werden die von dir eingegebenen Formulardaten (und unter Umständen auch weitere personenbezogene Daten, wie z. B. deine IP-Adresse) an Google-Server übermittelt. Mehr Infos dazu findest du in meiner Datenschutzerklärung (https://www.rusted-moon.com/p/impressum.html) und in der Datenschutzerklärung von Google.