August 30, 2011

'Checkpoint Shakey' - Neil Young und die Berliner Mauer

Checkpoint Shakey - Neil Young an der Berliner Mauer
'Checkpoint Shakey' - Plattform
am Potsdamer Platz
Die Berliner Mauer – das wohl bekannteste Teilstück des sogenannten „eisernen Vorhangs“ und Symbol für die Zweiteilung der Welt in der Zeit des kalten Krieges – wurde im August 50 Jahre alt. Damals, am 13.  August 1961 riegelte die DDR die Sektorengrenze zu West-Berlin in einer Nacht-und-Nebel-Aktion mit Steinen und Stacheldraht ab. In den folgenden Jahren wurde diese zunächst nur behelfsmäßige Mauer immer weiter ausgebaut und perfektioniert: Mit Vor- und Hinterlandmauer, Todesstreifen, Panzersperren und Wachtürmen zog sich bald ein unüberwindliches Monstrum um ganz West-Berlin.

Checkpoint Charly
'Checkpoint Charly'
in der Friedrichstraße
An kaum einer anderen Stelle waren Ausmaße und Auswirkungen dieser monströsen Grenzanlagen so sichtbar wie am Potsdamer Platz. Diese einst verkehrsreichste Kreuzung Europas, an der 1924 die erste Verkehrsampel in Deutschland aufgestellt wurde, war bis zum Fall der Mauer 1989 nur noch ein ödes, ummauertes Brachland, aus dem einige Hausruinen und die Wachtürme der DDR-Grenztruppen ragten.

Die Aussichtplattform neben dem stillgelegten U-Bahneingang auf der westlichen Seite des Potsdamer Platzes war bis 1989 ein beliebtes Ziel von Berlinern und Touristen. Auch Neil Young ließ sich 1982 die Gelegenheit nicht entgehen, einen Blick über die Mauer und auf die Grenzanlagen zu werfen. Fotograf Joel Bernstein machte dabei ein Foto, das Neil Young auf der Aussichtsplattform und vor der mit Graffities bemalten Westseite der Mauer zeigen. Das Foto auf der Plattform am Potsdamer Platz ist auch Teil der Bilder in Jimmy McDonoughs Biography „Shakey“.

Passgenau eingebettet in andere Fotos, die im Laufe der Zeit an dieser Stelle der Mauer gemacht wurden, ergibt sich ein interessantes zeitgeschichtliches Mosaik: Die Errichtung, der Ausbau und schließlich der Abriss und das Verschwinden der Berliner Mauer werden greifbar. Mitten drin – 21 Jahre nach ihrer Errichtung und 7 Jahre vor ihren Abriss – steht ein sichtlich beeindruckter Neil Young:


Das im Video enthaltene Mauer-Foto auf der Besucherplattform am Postdamer Platz entstand am Rande der beiden Konzerte, die Neil Young am 18. und 19. Oktober 1982 in der Berliner Deutschlandhalle gab.


Neil Young at Berlin Wall 1982
Neil Young schreibt an Mauer (c)Joel Bernstein
Tour-Fotograf Joel Bernstein machte daneben noch weitere Fotos, die Neil Young unter anderem dabei zeigen, wie er an der bemalten Westseite entlang spaziert oder das Beatles-Zitat "Love Is All We Need" auf die Mauer kritzelt (links).

Die zwei Konzerte in der Berliner Deutschlandhalle waren der Abschluss der Trans-Tour, die ihn und die "Trans Band" von Juli bis Ende Oktober 1982 in insgesamt 38 Stationen zunächst durch Kalifornien und dann durch Europa geführt hatte. Es war Neil Youngs erste Tour nach drei Jahren Pause: Wegen seines mit einer Behinderung geborenen Sohns Ben war er von 1979 bis 1981 nicht unterwegs gewesen.

Neil Young Trans
Album "Trans" (1982)
Die Probleme, die sich während dieser Tour einstellten, waren vielfältig. Zwar hatten die Fans ungeduldig auf Neil Young gewartet, der vor seiner Pause zuletzt 1976 in Europa war. Mit den Songs des kommenden neuen Albums „Trans“, dem ersten für sein neuen Label Geffen, konnten sie aber wenig anfangen. Der Einsatz von Synthesizern, Samplern, Elektrobeats und Vocoder war für viele Anhänger ebenso gewöhnungsbedürftig wie das Bühnenoutfit des Meisters, der mit schwarzem Hemd, Krawatte, Scheitel und Kurzhaarschnitt im 80er-New-Wave-Look anstatt im karierten Flanellhemd daher kam. Buh-Rufe schallten durch die Hallen.

Neil Young hatte für Tour zudem eine gigantische Bühnenanlage zusammengestellt, deren Transport in Europa eine kaum zu bewältigende und teure Logistik erforderte. Das Tourpersonal hatte eine Stärke von 116 Personen, trotzdem waren Techniker und Tourmanager mit der aufwändigen Computertechnik für Sound und Light-Show heillos überfordert. In Italien mussten wegen technischer Probleme sogar Shows abgesagt werden, was zu Ausschreitungen führte. Am Ende machte die Tour trotz der ausverkauften Hallen ein Minus von einer Dreiviertel Million Dollar.

Bruce Palmer
Bruce Palmer
Auch mit der "Trans Band" gab es Probleme. Neil Young hatte seinen alten Kumpel Bruce Palmer als Bassisten engagiert. Mit dem war er einst 1966 von Toronto nach Kalifornien gereist und hatte „Buffalo Springfield“ gegründet. Schon damals leistet sich Bruce Palmer allerhand Eskapaden und wurde mehrmals durch andere Bassisten ersetzt. Er saß wegen Drogendelikten sogar im Gefängnis und hatte die letzten zehn Jahre in einer Sikh-Sekte in Toronto nur Sitar gespielt.

Die neue Chance als Bassist, die ihm Neil Young zunächst bei Aufnahmen auf Hawaii zum unveröffentlichten Album "Island In The Sun" und dann in der "Trans Band" bot, nutzte Palmer nicht. Entsetzt über dessen erhebliche Alkoholprobleme und die daraus resultierende schlechte Performance, geriet Neil Young heftig mit seinem Freund aus den Anfangsjahren seiner Karriere aneinander. Auch die übrigen Mitglieder der "Trans Band", darunter Nils Lofgren, Joe Lala, Ralph Molina, spielten unter ihren Möglichkeiten.

Neil Young in Berlin
DVD "In Berlin"
Die explosive Stimmung entlud sich dann beim letzten Konzert der Tour am 19. Oktober 1982 in Berlin, das von Michael Lindsay-Hogg für HBO gefilmt wurde und später auf Video und DVD erschien. Neil Young hatte völlig überraschend einen neuen Song aus dem Hut gezaubert, der als allerletztes Stück des Abschlusskonzertes gespielt werden sollte. Die verdutzte Band musste die Akkorde noch am selben Tag lernen. Der Song hieß „Berlin“ und war eine einzige Abrechnung mit einer Tournee, bei der Neil Young froh war, dass sie endlich zu Ende ging. Im Video der Show kann man gut hören, wie Neil Young noch auf der Bühne eine kurzfristige Akkord-Änderung ansagt ("We change the 'A' ...").

"After Berlin" - oft missverstanden als politischer Song über das geteilte Berlin und die allgemeine Weltlage - ist ein gewaltiges, sechs Minuten langes musikalisches Stoßgebet ("Help me, help me, help me, Find my way back home ...") über eine im Chaos versunkene, technisch wie menschlich und finanziell völlig außer Kontrolle geratene Tournee, die am "Final Day" für Neil Young nun gottlob zu Ende war.  Er durfte zurück nach Hause, machte den Rest des Jahres 1982 nichts mehr und startete 1983 erstmal eine Solo-Tour ...

Video: Neil Young "After Berlin", 1982


BBC-Interview mit Neil Lofgren über das Album "Trans" und die "Trans"-Tour
(mit der falschen Jahreszahl 1983 datiert!)




Links:


Ähnliche Artikel:
  1. Neil Young und die 'Mauer in den Köpfen"
  2. Vor 35 Jahren: Neil Youngs erstes Konzert in Deutschland
  3. Neil Youngs "Orange Periode" - Die Gretsch 6120

1 Kommentar :

Wenn du auf meinem Blog Kommentare postest, werden die von dir eingegebenen Formulardaten (und unter Umständen auch weitere personenbezogene Daten, wie z. B. deine IP-Adresse) an Google-Server übermittelt. Mehr Infos dazu findest du in meiner Datenschutzerklärung (https://www.rusted-moon.com/p/impressum.html) und in der Datenschutzerklärung von Google.